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Wespennest Nr.186
Wespennest Nr.186

No Future

Als die Sex Pistols 1977 mit Bezug auf das silberne Thronjubiläum der Queen den Song „No Future“ lancierten und damit dem Lebensgefühl des Punk einen Namen gaben, hätte wohl niemand gedacht, dass die Königin auch ihr Platin-Jubiläum 2022 noch knapp erleben würde. So schnell lässt sich Zukunft, selbst die des britischen Königshauses, nicht abschaffen.

Die Siebzigerjahre seien „die Dekade, die den Glauben an die Zukunft verlor“, meint Philipp Felsch in seinem Buch Der lange Sommer der Theorie. Das verstärkte sich noch in den 1980er-Jahren, schon damals war die Stimmung dystopisch. Die Ängste bezogen sich auf „Umwelt“ und „Atom“, während heute die große Vorsilbe der Angst „Klima“ heißt und die Aktivist*innen sich „Last Generation“ nennen. Der wespennest-Frühjahrsschwerpunkt fragt nach dem zwielichtigen Slogan des „No Future“, der Dystopie, Hoffnungslosigkeit, Dekadenz, aber auch Rebellion, radikale Kritik und Wagemut und – in den 1980ern zumindest – Ironie in sich aufnimmt. Was hat sich inzwischen geändert an den Ängsten, der Apokalyptik und vor allem der Haltung zur Zukunft? Als Ungewissheit per se ist Zukunft ein Fluch und zugleich eine Gnade. Was würde das heißen: ohne Zukunft zu leben?

Außerhalb des Schwerpunkts sind der schwedische Dichter und Prosaautor Jonas Gren mit Auszügen aus seinem Roman Der Chromosomenpark erstmals auf Deutsch zu entdecken, neue Gedichte von Mirko Bonné sowie ein Buchkritik-Teil, der sich in weitem Bogen von Marianne Fritz’ Die Schwerkraft der Verhältnisse zu No Sleep Till Shingal spannt, dem Band des italienischen Zeichners Zerocalcare über seine Reise zu den Ezid*innen im nördlichen Irak u.a.m.

Wespennest Aktuelles
Prozentzahlen können richtig und irreführend zugleich sein. Was eine Statistik aussagt, ist oft Anlass für ideologische Debatten. Was sie hingegen nicht aussagt, sollte außer Streit stehen. In Bezug auf die deutsche polizeiliche Kriminalstatistik etwa die Tatsache, dass diese grundsätzlich nur strafrechtlich relevante Sachverhalte aufführt, die der Polizei bekannt wurden. Juristisch sind diese damit noch nicht bewertet. Und: Staatsschutz- und Verkehrsdelikte sind darin ebenso wenig erfasst wie Finanz- und Steuerdelikte oder Straftaten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden. Aufmerksame Leser:innen der Süddeutschen Zeitung haben in Bezug auf deren Berichterstattung zur kürzlich öffentlich gemachten aktuellen deutschen Kriminalstatistik die Journalist:innen ihres Blattes eindrücklich ermahnt, mehr relativierende Vorsicht bei der Interpretation von Prozentzahlen walten zu lassen. Von „verzerrungsfreier“ Auslegung weit entfernt ist – insbesondere in Vorwahlzeiten – aber auch so manche (partei)politisch motivierte Forderung nach mehr statistischer Differenzierung. Jan Koneffke ließ sich davon satirisch inspirieren und findet: Da geht noch mehr!

AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel stimmte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl am 19. September in Wien in dessen Ruf nach der „Allianz der patriotischen Kräfte“ ein. Die Erläuterung, wie eine solche Allianz bei der Europawahl im Juni 2024 die offenkundigen Widersprüche in der ultrarechten Auslegung des „Europas der Vaterländer“, einst Schlagwort Charles de Gaulles, überwinden wolle, blieben beide schuldig. Dass es allerdings zum Schaden der Rechten sei, wenn auch die alte Linke dem Nationalismus ein Lied singt, ist ein Fehlschluss, wie Jan Koneffke in einem Rückblick auf die Dogmen eines umtriebigen Bekannten seiner Jugendjahre festhält.

Der literaturhistorische Blick zurück mag der in einen Zerrspiegel sein. Und doch macht er gesellschaftliche Verhaltensweisen im Krisenfall sichtbar, dessen Symptome auf einen Nenner gebracht werden können: kapitalistische Produktion – brennen, bis nichts mehr bleibt. Ein Gegenentwurf, findet Florian Baranyi, müsste auf einen Stoff setzen, der sich nicht vernutzen lässt.

Mit frei verfügbaren Übersetzungsprogrammen lassen sich selbst komplexe Satzkonstruktionen beeindruckend – oder erschreckend – gut übertragen. Thomas Eder konfrontiert eine viel gelobte Software mit einem „Holzwegsatz“ des US-amerikanischen Linguisten Thomas Bever und zeigt gewitzt ihre Grenzen auf. Hat die humane Textproduktion also doch eine Zukunft?

Am 13. April 2022 verstarb die italienische Fotografin Letizia Battaglia, die als Chronistin der sizilianischen Mafia unser Bild von der Cosa Nostra geprägt hat – inszeniert als Szenen eines Stücks mit klar umrissenen Rollen. Florian Baranyi rückt der Theatermetapher in Zeiten von Krieg auf den Leib.

Die Welt ist eine andere geworden – und dreht sich doch weiter. Während Russland den Krieg gegen die Ukraine unentwegt anfacht und viele Menschen auf der Suche nach einem sicheren Ort ihre Städte und Dörfer verlassen, gehen wir hier unbeirrt unserem Alltag nach. Ist das zulässig? Und kann die Beschäftigung mit Literatur etwas zum Verständnis der Situation beitragen? Lukas Meschik ringt mit einem bekannten Diktum Thomas Bernhards.

Wespennest Zeitschrift
Heft 185 |w185| Die Kluft zwischen uns und den Tieren wird zunehmend kleiner. Bleibt als Unterschied die singuläre Sprachwahrnehmung und Sprachproduktion des Menschen?
Heft 184 |w184| Wie lange eine Ordnung hält, ist nicht vorhersehbar. Wer von „Zeitenwende“ spricht, steht auch vor der Frage, welche der alten Regeln noch gelten und woraus sich Neues formt.
Heft 183 |w183| Das Bedürfnis, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, scheint ein ethisches Gebot zu sein. Was aber, wenn man Fakt und Fiktion nicht so leicht unterscheiden kann?
Wespennest Vorschau
wespennest 187
Verkehr
Preis: EUR 14.00;
erscheint am 07.11.2024

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